Was sind Familienaufstellungen?
Der deutsche Therapeut Bert Hellinger entwickelte mit dem Familienstellen
eine neuartige Form einer intensiven Kurzzeittherapie. Dieser systemische
Ansatz ist auf dem Hintergrund der Mehrgenerationen-Familientherapie eine
eigenständige Weiterentwicklung. Hellinger hat eine Reihe von Ordnungen
und Gesetzmäßigkeiten entdeckt, die sich über ein eng
verknüpftes Netz von Beziehungen und Bindungen über mehrere
Generationen erstrecken. Diese Ordnungen bewähren sich in der praktischen
Arbeit. Man könnte eine Aufstellung als lebendes Genogramm bezeichnen,
das ein einzelnes Familienmitglied aufstellt, mit Elementen von Familienskulpturen
und Psychodrama. Aufstellungen sind in ihrer Form und ihrem theoretischem
Ansatz nach originell mit überraschenden Vorgehensweisen und Wirkungen.
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Wie läuft eine Familienaufstellung ab?
In Aufstellungsseminaren treffen sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
von denen jeder seine Familie aufstellen will. Meistens kommt jeder für
sich allein, die anderen Mitglieder seiner Familie braucht er nicht für
diese Arbeit. Manchmal kommen auch Geschwister, ein Elternteil mit einem
Kind oder Paare. Seminare dauern meist zwischen zwei und sechs Tagen.
Es gibt auch Seminare, die als regelmäßige Abendveranstaltungen
stattfinden. Während eines Seminars stellt jeder Teilnehmer einmal
mit Hilfe der anderen Teilnehmer seine Familie. Dabei gibt es grundsätzlich
zwei unterschiedliche Aufstellungen, einmal die der Familie, aus der jemand
kommt (Ursprungssystem) und zum anderen die des Beziehungsnetzes des eigenen
Lebens (Gegenwartssystem). Zum Herkunftssystem gehören die Eltern,
die Geschwistern und eventuell noch wichtige Mitglieder früherer
Generationen.
Das Gegenwartssystem ist die eigene aktuelle Partnerschaft oder Familie
mit sich selbst als Mann bzw. Frau und den eigenen Kindern. Außerdem
gehören dazu die ehemaligen Partner dazu und auch abgetriebene Kinder.
In einer Aufstellung tauchen bisweilen auch beide Systeme auf. Die praktische
Durchführung sieht so aus: Wer aufstellen will, wählt zunächst
Stellvertreter für jedes wichtige tote oder lebendige Mitglied der
Familie, sich selbst eingeschlossen. Dann gibt er jedem der Reihe nach
auf einer freien Fläche spontan - ohne zu sprechen und ohne jede
Erklärung - einen Platz und eine Blickrichtung. Dabei wird weder
eine bestimmte Haltung noch ein bestimmtes Gefühl vorgegeben. Wenn
alle aufgestellt sind, nimmt der Klient wieder Platz. Von jetzt ab bis
zum Ende der Aufstellung ist er nur noch Zuschauer und beobachtet das,
was der Leiter und die Stellvertreter sagen und tun.
Der Leiter bittet die Stellvertreter, genau die Empfindungen an ihrem
Platz wahrzunehmen. Nach kurzer Zeit fragt er sie einzeln nach ihren Wahrnehmungen
ab. Beziehungen und Konflikte in der Familie kommen ans Licht. Im ständigen
Kontakt mit den Rückmeldungen der Stellvertreter sucht der Leiter
nach individuellen Lösungen. Die Plätze haben ihre eigene Kraft,
so dass jeder, der an diesem Platz steht, ähnliche Wahrnehmungen
macht. Die Stellvertreter erspüren eine überraschende Vielfalt
der Gefühle und Beziehungen in der jeweiligen Familie. In vielen
Aufstellungen wird eine Fülle von unterschwelligen Spannungen sichtbar
und von den Stellvertretern offenbart.
Wer einen fremden Platz einnimmt, teilt das mit, was er in der Rolle spürt.
Spannungen, die es gibt, gilt es anzusprechen. In der konkreten Arbeit
gibt der Therapeut oft einfache Sätze vor, die von den Stellvertretern
ausgesprochen werden. Z. B. "Ich bin zornig auf dich". Nur ein
Satz, den ein Stellvertreter als passend und stimmig erlebt, entwickelt
lösende Kraft. Hellinger hat darüber hinaus eine Reihe unterschiedlicher
Lösungssätze gefunden. Diese spiegeln die Ordnungen wider, die
Hellinger in seiner langjährigen Arbeit mit Aufstellungen herausgefunden
hat. Häufig erweisen sich Sätze als hilfreich, die ein Ausdruck
dieser Ordnungen sind, manchmal ein so einfacher Satz wie "ich achte dich"
oder "ich gebe dir einen Platz in meinem Herzen".
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Ein entscheidender Schritt besteht darin, die Plätze zu verändern
und nach einer guten Ordnung zu suchen, d. h. nach einer Ordnung, in der
jeder sich auf seinem Platz wohl fühlt. Oft sieht für eine Familie
die Ordnung so aus, dass die Eltern sich leicht zuwenden und ihren Kindern
gegenüber stehen. Diese stehen in einem leichten Halbkreis, wobei
zuerst der Älteste kommt und dann die anderen ihrem Alter nach. Dabei
ist besonders heilsam, dass die bisher Vergessenen oder Ausgeschlossenen
ihren Platz erhalten.
Am Schluss der Aufstellung tritt der Teilnehmer, der aufgestellt hat,
an den Platz seines bisherigen Stellvertreters. Nun nimmt er das neue
Bild und die neue Ordnung bewusst wahr und auf diese Weise in sich auf.
Bis zu diesem Moment hat er die ganze Zeit die Geschichte seiner Familie
von außen aus der Distanz angesehen. Manches ist ihm dadurch klar
geworden. Mit der Aufstellung hat er sein inneres Bild der Ordnung seiner
Familie nach außen gebracht. Dieses Bild trägt jeder von uns
trägt in seinem Inneren mit sich herum. Es wird bei einer Aufstellung
nach außen gebracht und zum Leben erweckt.
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Häufig ist eine gute Ordnung möglich, bei der jeder sich an
seinem Platz wohl fühlt. Manchmal enden auch Aufstellungen ohne Lösung.
Es genügt, dass sie etwas Wichtiges gezeigt haben. Auch daraus erwachsen
in der Folgezeit oft gute Entwicklungen. Eine Aufstellung dauert im Regelfall
zwischen 20 und 45 Minuten, aber auch kürzere und längere Aufstellungen
kommen vor. Ziel bei der Aufstellung der Ursprungsfamilie ist es nicht,
die unendliche Vielfalt aller Verbindungen in einer Familie aufzudecken,
sondern nur die stärkste Verstrickung, in der jemand gefangen ist
und die seine Kraft bindet. Insbesondere die Verbindungen mit vergessenen
und ausgeschlossenen Familienmitgliedern sind wichtig. So bekommen z.
B. früh verstorbene eigene Geschwister oder Geschwister von Vater
und Mutter wieder einen guten Platz in der Familie.
Bei der Aufstellung des Gegenwartssystems geht es darum, frühere
Partner zu achten, Verantwortung für Schuld bei Trennungen usw. zu
übernehmen und die Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern zu
klären.
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Hintergrund der Arbeit
Schaut man tief genug zu den Wurzeln der Verbindungen in Familien, wird
eine tiefe und ursprüngliche Liebe von Kindern zu ihren Eltern deutlich.
Kinder sind nicht lediglich, wie in der Psychologie bisher oft angenommen,
bedürftig und auf Liebe angewiesen. Sie lieben selbst mit einer unbewussten,
bedingungslosen, aber blinden Liebe. Sie bleiben ihr Leben lang tief mit
den Eltern verbunden und sind sogar bereit, ihr Leben für ihre Eltern
und Familie hinzugeben. Kinder sind ihren Eltern treu, Vater und Mutter.
Aus dieser Treue heraus wird auch das Unglück der Eltern von den
Kindern weiter übernommen. Kinder wagen es selten oder nie ein erfüllteres,
glücklicheres Leben zu führen als ihre Eltern. Aus der Treue
zu ihren Eltern wiederholen sie ähnliche Schicksale und ähnliches
Unglück.
Da lebt ein Paar in einer unglücklichen Beziehung. Ihre Kinder werden
kaum den Mut oder die Kraft haben, in ihren eigenen Beziehungen glücklicher
zu sein. In ihren Herzen wäre das wie ein Verrat. Das gilt für
alle Kinder. An der Oberfläche mag der Kontakt der Kinder zu den
Eltern abgerissen sein oder sogar ein feindseliges Verhältnis bestehen.
Aber auch solche Kinder stehen im Dienste der Familie und erfüllen
Aufträge, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Kinder übernehmen im Familiensystem Gefühle von anderen Mitgliedern.
Das geschieht in zwei Formen: Entweder sie teilen starke Gefühle
von Anverwandten, sie tragen sie sozusagen mit, oder sie übernehmen
nicht ausgelebte Gefühle. Ein Beispiel: Da gibt es die immer friedlich
gebliebene Großmutter mit ihrem aggressiven, sie schlagenden Ehepartner.
Sie hat eine Enkelin, die immer wieder grundlos zornig auf ihren Mann
ist. In der Aufstellung stellt sich heraus, dass die Enkelin den Zorn
der Großmutter trägt.
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Das Myteriöse und Eindrucksvolle zugleich ist das Phänomen,
dass die Stellvertreter Wahrnehmung machen, die zur tatsächlichen
Familie gehören. Daraus erwächst die große Wirkung dieser
Arbeit. Warum das so ist und wie das geschieht, warum und wie dieses "wissende
Feld" existiert, wie die Aufsteller heute dazu sagen, weiß niemand.
In den Aufstellungen selbst wird über die klare Wahrnehmung der Stellvertreter
dem Klienten auf eine schnelle und präzise Art deutlich, von wem
in der Familie Gefühle und Verhalten übernommen worden sind.
Überraschenderweise sind das oft längst verstorbene Mitglieder
aus vergangenen Generationen, die bislang fremd oder kaum bekannt waren.
Der Klient erkennt, woher bisher unverständliche Gefühle (Depressionen,
Schuldgefühle u. ä.) kommen oder weshalb Beziehungen in seiner
Familie gestört sind.
Verbindungen, die sich bislang negativ auswirkten, werden ans Licht gebracht
und häufig aufgelöst oder umgewandelt. Die Plätze werden
verändert, und ein neues spannungsfreieres Bild der Familie entsteht.
Dieses Bild nimmt der Klient in sich auf und lässt es seine heilende
Wirkung entfalten.
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Das Besondere der Methode
Äußere Ereignisse, die Fakten der Familiengeschichte über
mehrere Generationen hin sind zentraler Ausgangspunkt. Ihre Wirkung durch
die Generationen hindurch wird sichtbar. Wichtig ist: Wer ist früh
gestorben (jünger als etwa 25 Jahre)? Gibt es Verbrechen und schwere
Schuld in der Familie? Gab es frühere Beziehungen der Eltern? Gibt
es darüber hinaus besondere Schicksale (Behinderung, Auswanderung,
nichteheliche Geburt, Adoption u. ä.)? Demgegenüber spielen
in der Arbeit gefühlsmäßige Beziehungen, Sympathien und
Antipathien eine geringe Rolle.
In Familien herrschen bestimmte Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten.
Das Wissen darum hat sich aus den langjährigen Erfahrungen von Hellinger
mit Aufstellungen entwickelt und bestätigt sich auch in der Arbeit
anderer Therapeuten immer wieder. Trotz vieler Ausnahmen wiederholen sich
diese Gesetzmäßigkeiten regelmäßig. Jedes Mitglied
einer Familie gehört in gleicher Weise zur Familie. Jede Familie
hat einen festen inneren Zusammenhalt, ganz gleich wie zerrissen sie äußerlich
scheinen mag. Jedem, der zur Familie gehört, gebührt Achtung.
Wird jemand aus der Familie ausgeschlossen, wird er durch ein später
geborenes Mitglied vertreten, der sich ein ähnliches Schicksal auferlegt.
Insbesondere der Tod eines Mitglieds in jungen Jahren hat auf die gesamte
Familie eine starke Wirkung. In den Geschwistern des Toten entsteht ebenfalls
eine Neigung zum Tod, der durch den Satz ausgedrückt wird: "Ich
folge dir nach". Wenn jemand auf diese Weise belastet ist und später
selbst Kinder bekommt, spüren die Kinder diese Last und wollen sie
abnehmen ("Lieber ich als du"). Die Neigung zum Tod äußert
sich in schweren Krankheiten, in lebensgefährlichem Verhalten wie
z. B. riskantes Autofahren, Extremsportarten u. ä. oder auch in exzessivem
Drogengebrauch.
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Für welche Themen eignet sich dies Methode besonders?
· Für die Klärung des Verhältnisses mit den Eltern und
Geschwistern
· Wenn jemand das Gefühlt hat, er trägt eine Last (Schuld, Trauer,
Ärger) mit
sich herum, die nicht aus dem eigenen Leben zu erklären ist
· Für die Klärung des Verhältnisses in der Partnerschaft
und zu den Kindern
© Dr. Bertold Ulsamer, Runzstr. 48, 79102 Freiburg,
Telefon 0761-706418, www.ulsamer.com, e-mail: bertold.ulsamer@t-online.de
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