Die Biodynamische Psychologie gehört zu den ältesten
Methoden der Körperpsychotherapie in Europa, die wesentliche Grundsteine
für die heutigen körperorientierten Ansätze der Psychotherapie
gelegt hat. Sie umfasst ein weites Spektrum ganzheitlicher Themen in ihrer
humanistischen Philosophie, Spiritualität und Wissenschaft.
Begründet von der norwegischen Diplom-Psychologin und Physiotherapeutin
Gerda Boyesen, gemeinsam mit ihren Töchtern Ebba und Mona Lisa Boyesen
entwickelt und durchgeführt, wird sie mittlerweile in vielen Ländern
der Welt praktiziert.
Sie ist eine tiefenpsychologisch fundierte, körperorientierte Therapieform
und basiert u.a. auf den frühen Libidotheorien Freuds sowie den Arbeiten
von C. G. Jung und Wilhelm Reich. Biodynamische Psychologie ist eine biologische
Theorie von Psychologie, die sich für die organischen Verbindungen
von Körper und Psyche interessiert. Für die Biodynamische Körperpsychotherapie
sind psychologische Prinzipien nicht nur Theorien und Konzepte, sondern
tatsächliche energetische Kräfte, die sich sowohl organisch
als auch neurologisch auswirken.
Der Begriff "biodynamisch" erinnert an das Konzept, dass Lebensenergie
in natürlichem und spontanem Fluss ist (bios heißt Leben, dynamisch
heißt Kraft); Lebensenergie ist die Kraft, die uns bewegt und uns
auf allen Ebenen zum Leben bringt: körperlich, intellektuell, gefühlsmäßig
und geistig. Sigmund Freud deutete in seinen frühen Libido-Theorien
an, dass das Phänomen der psychischen Energie die dynamische Kraft
der sexuellen Instinkte sei. Wilhelm Reich führte diese Idee weiter,
indem er annahm, dass diese Energie kosmischen Ursprungs sei. Er nannte
sie Orgonenergie, die sich als Energiestrom im Körper bemerkbar macht
und direkten Einfluss auf das autonome Nervensystem und seine vegetative
Funktion hat. Seine Arbeit wurde zum Ursprung der körperorientierten
Psychotherapie von heute.
Biodynamische Psychologie ist auch eine Fortsetzung der Arbeiten von Sigmund
Freuds Libidotheorie und eine Weiterentwicklung von Wilhelm Reichs Orgonomie
und Vegetotherapie, die auf die fundamentalen Zusammenhänge zwischen
Körper und Psyche hinwies und jede Pathologie als eine Störung
der Bioenergie ansah, die sich in Charakter- und Muskelpanzer sowie psychosomatischen
Erkrankungen ausdrückt.
Psychische Probleme, psychosomatische Symptome und Krankheiten sind daher
deutliche Signale, dass mit unserem Leben etwas nicht stimmt. Ausgehend
von der Annahme, dass alle psychischen Befindlichkeiten also in irgendeiner
Form „verkörpert“ sind, werden in der Biodynamik Psyche
und Körper als zwei Seiten desselben Lebensprozesses angesehen. Der
ganze Organismus wird als Erfahrungsspeicher und Behältnis des Unbewussten
und darüber hinaus als fähig zur Selbstregulation und Selbstheilung
betrachtet.
Einer der wesentlichsten Beiträge der Biodynamischen Psychologie
im Unterschied zu anderen Körperpsychotherapien ist die Entdeckung,
dass die toxischen Komponenten von emotionalem und seelischem Stress im
Verdauungssystem über die Darmperistaltik durch Flüssigkeit
entladen werden können. Unter günstigen Umständen, die
in Begleitung emotionaler Erregung auftreten, werden fortlaufend hormonelle
Rückstände ausgeschieden. Im vegetativen Nervensystem haben
Sympathikus- und Parasympathikusnerv eine wichtige Funktion. Wenn der
Sympathikus zu stark arbeitet (bei Stress und Spannung) schließt
sich die Darmperistaltik. Entspannt sich der Organismus und der Parasympathikus
tritt in Funktion, öffnet sich die Darmperistaltik und trägt
auf vegetativer Ebene zur emotionalen Verarbeitung bei. Neuere Forschungen
in der Neurophysiologie bestätigen, dass wir noch über ein drittes
Nervensystem, das sog. „enterische Nervensystem“ verfügen
und im gesamten Verdauungssystem mehr Nervenzellen als im Rückenmark
haben. Damit besitzen wir ein sog. „Bauchhirn“ im Verdauungssystem
als dem Sitz einer emotionalen Intelligen, das häufig unabhängig
vom „Kopfhirn“ reagiert.
Ein weiterer wichtiger Beitrag der Biodynamik für Medizin und Psychosomatik
besteht in der Entdeckung, dass Störungen der Harmonie von Psyche
und Körper sich auf allen körperlichen Ebenen (über das
Konzept des „Muskelpanzers“ bei Wilhelm Reich hinaus) in Form
eines „Gewebepanzers“ zeigen. Stoffwechselrückstände
verbleiben bei unabgeschlossenen emotionalen Zyklen im Körper und
bilden eine Barriere gegen den natürlichen Kreislauf der Körperflüssigkeiten.
Die Eingeweide, neben der Nahrungsverdauung auch zuständig für
die organische Verdauung emotionaler Konflikte, können die biochemischen
Reste psychischer Spannung nicht oder nur unvollständig abbauen;
es bildet sich ein „Eingeweidepanzer“. Die spontane Eigenbewegung
der mit Flüssigkeit gefüllten Darmwände, die als Peristaltik
bezeichnet wird, dient also auch der Regulation nervöser Spannung
(„Psycho-Peristaltik“ genannt). Oft können diese Geräusche
mit dem bloßen Ohr gehört werden; die Verwendung eines Stethoskopes
(auf den Bauch des Klienten gelegt) ermöglicht dem Therapeuten eine
noch gezieltere Diagnostik und Behandlung. Dabei ist wesentlich, dass
ein inneres Gefühl von emotionaler Geborgenheit und Sicherheit vorliegt;
erst dann beginnt die Psychoperistaltik zu arbeiten. Wenn sie gut funktioniert,
stellt sich eine entspannte, friedvoll gelöste Atmosphäre ein,
die von einem harmonischen und frischen Gefühl satter Lebendigkeit
begleitet wird. Stimulation der Psychoperistaltik heißt Stimulation
des Flusses der Lebensenergie eines Menschen in allen Aspekten seines
Seins.
Anwendungsbereich
In jedem von uns steckt die Möglichkeit, ein zufriedenes und bewusstes
Leben zu führen.Viele Menschen machen in ihrer Kindheit und späteren
Lebenszeit schwierige Erfahrungen. Sie erleben Ablehnung, Überforderung,
Unterdrückung, Kränkung, Missachtung und Vernachlässigung,
emotionale Ausbeutung, mangelnde Wertschätzung, traumatische Situationen
usw. Wir alle sind mehr oder minder davon betroffen. Um unser Überleben
zu sichern, passen wir uns an und geben dabei vielleicht viel von dem
auf, was eigentlich unsere Persönlichkeit ausmacht. Das reduziert
unsere Lebendigkeit und beeinträchtigt unser Denken, Fühlen,
Handeln und Empfinden. Innere Impulse, die nicht erwünscht waren,
müssen unterdrückt werden; unsere Lebendigkeit kann dadurch
in folgenden Bereichen beeinträchtigt werden:
- auf der verbal-kognitiven Ebene (Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen,
Glaubenssätze...)
- auf der bildlichen Ebene („eingefrorene“ Bilder über
uns und die „Welt“...)
- auf der Gefühlsebene (Verdrängungen, Ängste, Überreaktionen,
innere Leere...)
- auf der Ebene der Körperempfindungen (Schmerz, Taubheit, Lustlosigkeit...)
- auf der Ebene der Bewegung (Anspannung, Unruhe, Getriebenheit, Schlaffheit...)
- auf der vegetativen Ebene (Blockierungen der Verdauung, der Atmung,
des Blut- und Flüssigkeitskreislaufes, der Stoffwechselprozesse...)
Mit Hilfe der Biodynamischen Körperpsychotherapie können die
Blockaden allmählich gelockert und die natürlichen Selbstregulations-
und Selbstheilungskräfte in uns wieder aktiviert werden, so dass
nach und nach die ursprüngliche Lebensfreude wieder zurückkehren
kann. Das Spektrum der biodynamischen Arbeit reicht dabei von präventiver
Arbeit mit Entspannung gegen Stresssymptome (siehe auch „Biorelease“)
über die Behandlung von KlientInnen, die einfach mehr Bewusstheit
und Lebensfreude erreichen möchten bis hin zu tiefer Psychotherapie
bei schwierigen Konflikten, neurotischen Störungen und psychosomatischen
Krankheitsbildern.
Die Methode eignet sich sowohl für Erwachsene als auch für Kinder
und Jugendliche. Entwicklungsdefizite aus der frühen Phase, in der
das Kind noch nicht spricht, können durch den Zugang über den
Körper leichter erreicht und dem Bewusstsein zugänglich gemacht
werden.
Die therapeutische Arbeit
Die Biodynamische Körperpsychotherapie verbindet psychoanalytisches
Herangehen und körperorientierte Arbeit in systematischer und theoriegeleiteter
Weise; sie ermöglicht dadurch, die komplizierte Beziehung zwischen
mentalen, emotionalen und muskulären Bedingungen gleichzeitig in
einem Heilungsprozess zu behandeln.
Sie bietet ein breites Spektrum verschiedener tiefenpsychologisch fundierter
Methoden auf körperlicher, emotionaler und mentaler Ebene, mit denen
der Selbstheilungsprozess gefördert und damit neurotischen und psychosomatischen
Symptomen die organische Basis zu entzogen wird. Im Gegensatz zu den therapeutischen
Methoden, die fast ausschließlich mit Gesprächen arbeiten,
beinhaltet die Biodynamische Körperpsychotherapie eine wesentlich
tiefer gehende und umfassende therapeutische Arbeit, auch an Themen aus
der frühen Kindheit, die verbal häufig nicht zugänglich
sind.
Der körpertherapeutische Ansatz ermöglicht einen direkten Zugang
zum ursprünglichen Gefühl und den damit zusammenhängenden
Konflikten aus der Kindheit, verbunden mit verbesserter Körperwahrnehmung,
differenzierter Gefühlswahrnehmung und zunehmender Klarheit, die
zu einer schnelleren und tieferen Veränderung der Lebenshaltung beitragen.
Dadurch kann es zu sehr wesentlichen Veränderungen kommen: in der
inneren Einstellung, der Lebenshaltung, der Fähigkeit zu Kontakt,
Beziehung und Konfliktbewältigung und vor allem auch in der Körperhaltung
und dem Körpergefühl. In der Biodynamischen Körperpsychotherapie
ist die therapeutische Haltung grundsätzlich einladend, akzeptierend
und ermutigend. Viel Wert wird auf einfach da sein und Geschehenlassen
gelegt. Die aufmerksame und bewusste Präsenz der Therapeutin / des
Therapeuten bildet den Nährboden, auf dem der Klient auf allen Ebenen
er selbst sein kann.
In einer solchen Atmosphäre von Sicherheit und Geborgenheit kann
die natürliche Selbstregulation dann allmählich wieder funktionieren.
Emotional belastende Ereignisse werden nach und nach verarbeitet und die
damit verbundenen neurotischen Konflikte gelöst, begleitet von einem
Gefühl der Entspannung, Lebendigkeit und Harmonie. Innerhalb des
therapeutischen Rahmens werden auch die nötigen strukturierenden
und halt gebenden Aspekte, die im Verlauf des Therapieprozesses für
den Alltag des Klienten wichtig sind, einbezogen.
Neben der direkten Körperarbeit und intentionalen Berührungen
wird viel Raum für tiefenpsychologische Gespräche und emotionales
Durcharbeiten gegeben. Bilderarbeit, Körper(spür)übungen,
Atemtechniken.
Therapeutische Massagen und verbale Methoden finden Verwendung. Sowohl
körperlich als auch psychologisch wird mit dem gearbeitet, was für
den Klienten gerade aktuell ist. Auf therapeutische Ansprüche, wie
der Klient sein sollte oder wohin er sich zu entwickeln habe, wird so
weit wie möglich verzichtet.
Wenn sich die Blockaden lösen, stellen sich zunehmend „strömende“
Gefühle ein, die als sehr beglückend und wohltuend erlebt werden.
Damit entsteht ein Gefühl des unabhängigen Wohlbefindens eines
Menschen, der sich mit sich wohl und im eigenen Körper und auf der
Welt zuhause fühlt und sich von dieser Basis aus vertrauensvoll auf
den Kontakt mit anderen Menschen einlassen kann. Der natürliche Rhythmus
von Kontakt und Rückzug wird wiederhergestellt und Bewusstheit und
Ausdruck in der Beziehung zu anderen Menschen gefördert.
Gelegentlich können während des Therapieprozesses als Anzeichen
der Veränderung psychische oder vegetative Reaktionen auftreten,
wie z.B. Erkältungen („altes Weinen“) Stimmungsschwankungen,
phasenweise Müdigkeit oder auch starke Aktivitätsschübe
u.ä. Wir betrachten dies als einen Vorgang, bei dem sich alte neurotische
Muster gefühlsmäßig und organisch auflösen. Die Behandlungsdauer
ist abhängig von der Befindlichkeit und dem Anliegen, mit der die
Klientin / der Klient zu uns kommt. Eine kürzere Dauer zur Lösung
einer bestimmten Thematik (Kurzzeittherapie) ist ebenso denkbar wie die
kontinuierliche Begleitung über eine längere Phase (Langzeittherapie).
Alte, bisher unverdaute Erfahrungen werden geklärt, der unterbrochene
Libidokreislauf wird stimuliert, unabgeschlossene emotionale Erfahrungen
runden sich ab, energetische Verhärtungen schmelzen und die Fähigkeit,
tief loszulassen, nimmt zu. Wir „müssen“ nicht mehr auf
eingeschränkte Art und Weise leben und reagieren, sondern gewinnen
sowohl innen als auch außen die Freiheit zurück, wählen
und entscheiden zu können, wie wir unser Leben gestalten möchten.
Damit kehrt auch das Wohlgefühl zurück, dass das Lebensrecht
eines jeden Menschen ist.
BIODYNAMISCHE MASSAGE UND KÖRPERBEHANDLUNG
Die Methoden der Biodynamischen Körperpsychotherapie beinhalten strukturierte
Massagen und direkte Körperbehandlungen. Die unmittelbare Arbeit
mit und am Körper ist dabei der Schwerpunkt. Das therapeutische Gespräch
dient der Integration der Erfahrungen aus der Körperarbeit.
- kann zu mehr Körperbewusstsein beitragen und eröffnet damit
Möglichkeiten, effektiver mit Stress umzugehen
- kann das reinigende Strömen der Lebensenergie wieder anregen
- kann den Selbstheilungsmechanismus der Psychoperistaltik anregen
und so zur endgültigen Verarbeitung schwieriger Erfahrungen beitragen
- kann dabei unterstützen, körperliche Fehlhaltungen zu korrigieren
- kann einschränkende Atemmuster freier machen und damit die psychoperistaltische
Selbstregulierung aktivieren
- kann eine ausgewogenere Balance zwischen dem zentralen und vegetativen
Nervensystem (zwischen Kopf und Bauch) fördern
- kann physische und/oder psychosomatische Beschwerden z.B. Rückenbeschwerden,
(Kopfschmerzen, Migräne, Schlaflosigkeit u.ä. lindern und
zuweilen ganz beseitigen
- kann nach traumatischen Ereignissen, die einen körperlich und
seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht haben, helfen, wieder zu sich
zu finden
- kann einfach wohltuend und stressreduzierend sein, gerade für
diejenigen, die für gewöhnlich eher viel geben, für andere
da sind, viel arbeiten und sich dabei wenig Ruhe und Entspannung gönnen
Der Umgang mit Berührung, mit Nähe und Distanz, mit Loslassen
und Hingabe, aber auch damit, sich abzugrenzen, sind Themen, die in der
strukturierten Körperbehandlung erforscht werden können. Das
wichtigste jedoch, was die biodynamische Körperbehandlung bewirken
kann, ist, in sich ein sicheres Zuhause zu finden und sich selbst und
dem eigenen Körper und Gefühl zu vertrauen.
Gerda Boyesens Entdeckung der Schlüsselfunktion des Verdauungssystems,
der Peristaltik, für die Verarbeitung von emotionalem und seelischem
Stress (Psychoperistaltik) und die Verwendung eines Stethoskopes (auf
den Bauch des Klienten gelegt) ermöglichen dabei eine gezielte Diagnostik
und Behandlung.
Das Hauptziel der Biodynamischen Körperbehandlung ist die Auflockerung
der energetischen Zirkulation, um den Muskelpanzer mit seiner Verbindung
zum vegetativen Nervensystem zu beeinflussen. Daraus folgt eine Vertiefung
des Atems und ein Gefühl von energetischer Ausdehnung frei von psychologischem
und alltäglichem Stress; der Klient kommt stärker in Kontakt
mit seiner ursprünglichen Lebensenergie und gelangt zu innerem Gleichgewicht
und Wohlbefinden.
Text und Copyright von E.S.B.P.E. e.V.
Europäische Schule für Biodynamische Psychologie (E.S.B.P.E.
) e.V.
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